R. Meiwes: Von Ostpreussen in die Welt

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Titel
Von Ostpreussen in die Welt. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern (1772-1914)


Autor(en)
Meiwes, Relinde
Erschienen
Paderborn 2011: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Joachim Schmiedl, Theologische Fakultät, Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar

Das Wort vom «Ordensfrühling» im 19. Jahrhundert bezieht sich auf ein doppeltes Phänomen: In den Jahrzehnten zwischen 1850 und 1900 wurden mehrere Hundert neuer religiöser Gemeinschaften, vor allem von und für Frauen, gegründet, die das Spektrum an Lebens- und Berufschancen erheblich erweiterten und das Gesicht der katholischen Kirche prägten als einer Institution, die sich für Soziales und Bildung einsetzte. Diesen Neugründungen, denen sich die Autorin der zu besprechenden Studie in ihrer Dissertation gewidmet hatte, stellt Relinde Meiwes nun die Geschichte einer Frauenkongregation gegenüber, deren Ursprünge bereits im 16. Jahrhundert liegen.

Die Katharinenschwestern wurden 1571 in Braunsberg gegründet, einer katholischen Enklave inmitten des ersten protestantischen Landes Preußen. Regina Protmann, die «charismatische Gründerin», gab ihrer Gemeinschaft eine Regel, die auch in ihren Modifikationen eine Verbindung von religiöser Lebensgestaltung und apostolischem Engagement ermöglichte. Das Schicksal einer zwangsweisen Klausurierung, wie es die Englischen Fräulein erfahren mussten, blieb den Katharinenschwestern wegen ihrer regionalen Beschränkung auf das Ermland erspart.

Für die ersten zwei Jahrhunderte der Katharinenschwestern liegt eine polnische, ins Deutsche übersetzte Arbeit vor (Barbara Gerarda Śliwińska, Geschichte der Kongregation der Schwestern der heiligen Jungfrau und Martyrin Katharina, 1571–1772 [ZGAE, Beiheft 14], Münster 1999.) Meiwes behandelt die preußische Zeit des Ermlands zwischen der ersten Teilung Polen-Litauens 1772 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. In diesen eineinhalb Jahrhunderten wandelten sich die Katharinenschwestern von einer – mit Ausnahme einer ziemlich selbstständigen Niederlassung in Litauen – rein ermländischen Kongregation zu einer transnationalen religiösen Frauengemeinschaft. Meiwes stellt diese Veränderungen mit der Methodik einer Sozialwissenschaftlerin der Bielefelder Schule dar, die jedoch Sympathie und Verständnis für das Innenleben einer religiösen Vereinigung spüren lässt.

In dem von ihr behandelten Zeitraum macht Meiwes mehrere Zäsuren aus. Eine erste Zäsur stellt der Übergang des Ermlands an das Königreich Preußen dar. 1772 wurden auch die vier Konvente der Katharinenschwestern inventarisiert, was einen ersten Einblick in die Mitgliederstruktur ermöglicht. Die Schwestern waren in den Orten Wormditt, Heilsberg, Rößel und Braunsberg in Filialen mit je im Schnitt zwischen 15 und 20 Mitgliedern tätig. Neben der Sorge um den eigenen Lebensunterhalt waren einige wenige mit Bildungsaufgaben beschäftigt. Die Oberin des Braunsberger Konvents hatte als «Mater» die Funktion einer Art Generaloberin.

Die zweite Zäsur setzt Meiwes in den Reformjahren nach der napoleonischen Ära an. Im Zuge der Verbesserung der Elementarschulbildung für Mädchen konzentrierten sich die Tätigkeiten der Schwestern zunehmend auf diese Aufgabe. Mädchenschulen in den vier Orten wurden von jungen Katharinenschwestern geführt, die sich nach dem Eintritt in die Kongregation auf die Lehrtätigkeit vorbereitet hatten. Es war aber nur eine Minderheit der Schwestern, die dafür vorgesehen waren und die durch ihre berufliche Tätigkeit und die dadurch bewirkten häufigen Abwesenheiten aus dem Kloster eine Zweiteilung im Lebensrhythmus der Gemeinschaft bewirkten.

Dieses Problem wurde in der Bischöflichen Visitation von 1854 und der folgenden Revision der Ordensregel von 1602 dahingehend angegangen, dass die «spirituelle Seite der Kongregation» gestärkt und die «religiöse Praxis an das verstärkte schulische Engagement der Schwestern» (106) angepasst wurde. In den Jahren zwischen 1852 und 1871 stieg die Zahl der Schulen der Katharinenschwestern von vier auf 15 an. In den meisten Fällen war die jeweilige Stadt Eigentümer der Schule, die Schwestern aber Angestellte. Diese nahezu flächendeckende Ausstattung des Ermlands mit Elementarschulen führte auch zu einer Quasi-Umwandlung des Noviziats in ein Lehrerinnenseminar zur Vorbereitung auf die staatliche Prüfung. Den Schwestern gelang es damit, eine «Lücke zur beruflichen und persönlichen Entwicklung der Frauen» (121) zu schliessen. Die Mitgliederzahlen wuchsen. Gleichzeitig profilierten sich die Schwestern als religiöse Gemeinschaft. Inspiriert von der Lazaretttätigkeit in den Kriegen von 1866 und 1870/71 kam der Gebrauch eines Schwesternschleiers auf. Auch übernahmen die Schwestern eigene Klosternamen. Die Annäherung an das Erscheinungsbild einer Kongregation war nach drei Jahrhunderten vollzogen.

Eine weitere Zäsur stellte der Kulturkampf dar. Zeitverzögert mussten auch im Ermland die Katharinenschwestern ihre Tätigkeiten im Schuldienst einstellen. Davon betroffen war fast die Hälfte der Mitglieder. Die vier Gründungskonvente konnten nach langem Ringen weiterbestehen, wenn sie sich auf Krankenpflege beschränkten. Die Umstellung von der Lehrtätigkeit auf die Krankenpflege gelang bemerkenswert schnell. Andere Aufgabenbereiche wurden gesucht, etwa die Pflege von Waisen oder die Einrichtung von Pensionaten. Versuche zu Gründungen in Finnland und Russland blieben vorerst Episode. Die Ausweitung über das Ermland hinaus blieb der letzten von Meiwes behandelten Periode nach dem Ende des Kulturkampfs vorbehalten. Im Ermland konzentrierten sich die Schwestern auf Kranken- und Waisenpflege, auf Hospitäler und Siechenhäuser, auf die berufliche Bildung für Mädchen und Frauen (Näh-, Koch- und Haushaltungsschule). Hinzu kamen Niederlassungen in Königsberg und Berlin sowie im englischen Industriegebiet um Liverpool. Ein zweiter Schwerpunkt ergab sich aber erst, als 1897 die ersten vier von 118 Schwestern (bis 1914) nach Brasilien ausfuhren und Schulen und Krankenhäuser in São Paulo und Umgebung sowie im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul übernahmen. Es wurde eine «Arbeit mit Perspektive» (195), was sich auch in der Einrichtung eines eigenen Noviziats (1902) und der Aufteilung der Niederlassung in zwei eigenständige brasilianische Provinzen (1913) zeigte.

Kenntnisreich und quellenfundiert versteht es Relinde Meiwes, die äusseren und inneren Wandlungen der Katharinenschwestern von einer regional begrenzten zu einer transnational agierenden Gemeinschaft zu schildern. Sie zeigt die gegenüber einer «ermländischen Bäuerin» (207) grösseren professionellen und religiösen Handlungsoptionen der religiösen Lebensform auf. Die Schwestern erlernten einen Beruf, den sie auch ausüben konnten. Qualifizierte Tätigkeiten standen denjenigen offen, die ihre religiöse Berufung leben wollten. Meiwes’ Schlussfolgerung – «gerade in dieser Verbindung von religiösen und weltlichen Optionen lag die besondere Attraktivität dieses Lebensentwurfes» (208) – kann nur zugestimmt werden. Meiwes ist mit dieser von der Kongregation der Katharinenschwestern geförderten Arbeit eine beeindruckende Studie gelungen, auf deren Fortsetzung bis in die Gegenwart hinein man nur gespannt warten kann.

Zitierweise:
Joachim Schmiedl: Rezension zu: Relinde Meiwes, Von Ostpreußen in die Welt. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern (1772–1914), Paderborn, Schöningh, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 573-573.